Wenn Mutti zu mir Mama sagt

Egal mit welcher "Herausforderung" ich in meinem Leben konfrontiert war, auf eines konnte ich mich immer verlassen. Es war immer klar, bei welchen Themen ich mit der Unterstützung meiner Mutter auf alle Fälle rechnen konnte, bei welchen sie mir heftig widersprechen würde und bei welchen Fragestellungen wir zu 100 Prozent aneinandergeraten und die Fetzen fliegen würden.

Einmal, als sie gestürzt war und sich den Fuß gebrochen hatte, sah ich es als meine Pflicht an, ihr bei der Hausarbeit behilflich zu sein.

Während sie ihren Mittagsschlaf hielt, weil das Humpeln mit dem gegipsten Bein ihr doch viel Kraft gekostet hatte, schlich ich mich in die Küche und räumte den Geschirrspüler aus.

Warum ich in die Küche schlich? Ganz einfach - sie hätte bereits da begonnen mir zu erklären, dass sie sicher keine Hilfe brauchen würde und dann hätte sie keinesfalls geruht.

Also, mit Glück kam ich unbemerkt in die Küche. Ich versorgte leise das Geschirr und der letzte kleine Dessertlöffel, den ich einräumen wollte, rutschte mir aus der Hand.

Das unverwechselbare Geräusch, das dieser kleine Löffel verursachte, verschmolz schnell mit der Stimme aus dem anderen Zimmer, die rief: "Hey, wenn du schon heimlich den Geschirrspüler ausräumst, hast du daran gedacht, dass du keine Gläser einräumen darfst? - Die werden stumpf!“

„Das kann ich euch 1000-mal sagen. Ihr hört ja nie auf eure Mutter!", setzte sie dann murmelnd nach.  Damals war ich wirklich sauer.

Dass diese Frau sich nie dafür bedankt hatte, wenn eines ihrer Kinder ihr Arbeit abgenommen hatte, war ich ja gewohnt, aber mir stellvertretend zu unterstellen, dass wir nie auf sie hörten, war damals für mich starker Tobak.

Jedes ihrer Kinder entschied nichts, ohne sich ihre Meinung anzuhören!

Und heute? Heute war so eine Situation eigentlich wieder.

Mutti war müde und schlürfte langsam in Richtung ihres Schlafzimmers. Ich blieb in der Küche und wollte gerade die Teller vom Mittagessen abräumen, als ich rufen hörte: "Mama, ....Mamaaaaaa, kommst du mich zudecken?" Schnell lief ich zum Zimmer, um zu sehen, was sie brauchen könnte, und da sah ich, dass meine Mutter mit leuchtenden Augen in ihrem Bett lag, mich anstrahlte und sagte:"Mama, da im Urlaub ist es schön, gell?"

Da war mir klar, ich habe meine Mutter schon jetzt verloren, ihr Körper war noch da, meine Mutter, die ich immer um Rat fragen konnte und die mich auch mal in die Schranken wies, war nicht mehr da. Zur gleichen Zeit habe ich aber ein "großes" Kind bekommen. Ein manchmal schlimmes, das trotzig den eigenen Willen durchsetzen mag, egal wie gefährlich die Situation sein könnte und manchmal ein total liebes, wie jetzt.

Versteh mich richtig, sie war auch zu dieser Zeit kein Kind. Nur, ich fühlte es damals so, als sei sie mein Kind und sie sah in mir ihre Mutter.

Meine Mutter war ..... so wie sie ihr Leben lang zu mir war.  So war ich sie gewohnt und ich liebe sie dafür von ganzem Herzen. Doch, dieses Kind, das jetzt da ist, wollte ich eigentlich nicht, es ist aber jetzt aber da.

 

Ich glaube, ich beginne es liebzuhaben, aber ich hätte doch gern meine Mutter besucht und sie gefragt, wie man mit solch einem Kind umgehen kann oder soll.

 

Weil meine Mutti wusste immer alles!